Nahtlos unterlegen- Der Blick eines Dieners
Donnerstage.
Ich liebe sie nicht wegen der Woche – ich liebe sie wegen der Wirkung.
Der Wirkung, die ich auf Männer habe.
Auf Männer wie Herrn Kramer.
Er ist ein Mann alter Schule.
Er trägt stets gebügelte Hemden, poliert seine Schuhe selbst, verbeugt sich fast beim Gruß – ein Relikt aus einer Zeit, in der Worte noch Gewicht hatten.
Und doch: In ihm schlummert eine Schwäche.
Eine alte. Eine tiefe. Eine, die nur ich erkennen kann.
Er liebt das Rascheln von Nylonstrümpfen.
Nicht auf plumpe Weise – nein.
Seine Leidenschaft hat Patina. Sie ist wie eine vergessene Melodie, die nur wenige Frauen noch spielen können.
Doch ich spiele sie – perfekt.
Es begann in seiner Jugend, in den Fünfzigern.
Seine Mutter, eine Schneiderin, hatte ihm verboten, in ihre Schublade mit den „guten Strümpfen“zu greifen. Natürlich tat er es trotzdem.
Dort entdeckte er die Welt:
Hauchdünne Seide, schimmernd im Licht, die feine Naht wie ein Geheimnis entlang des Stoffes – er verstand es nicht, aber er spürte es.
Später, in den Kinos, waren es die Beine der Schauspielerinnen in schimmernden Strümpfen, die ihn den Atem kosteten.
Und heute?
Heute sitze ich ihm gegenüber.
Und ich bin der lebendige Inbegriff all dessen, was ihn formte.
Ich betrete das Café Flora wie eine Szene, nicht wie eine Frau.
Meine Absätze sind hoch – absurd hoch. Kein Werkzeug zum Gehen, sondern ein Thron, den ich bei jedem Schritt mitführe.
Sie sind mächtig, scharf, aus schwarzem Lack gefertigt – mit einem Klang, der durch Mark und Verstand fährt.
Meine Beine? Lang, endlos, königlich.
Gekleidet in hautfarbene Seidenstrümpfe mit makelloser Naht.
Nicht blickdicht. Nicht vulgär. Sondern exakt jene, die man nicht einfach kaufen kann – außer man weiß, wo wahre Eleganz noch lebt.
Ich spüre es, wie sich seine Haltung ändert, sobald ich den Raum betrete.
Nicht sichtbar. Nicht für das ungeübte Auge.
Aber ich sehe es:
Das Flackern in seinen Pupillen, der Löffel, der eine Sekunde zu lange in der Tasse ruht.
Er erkennt mich.
Nicht als Frau – sondern als Verkörperung seiner Sehnsucht.
Ich lasse mich am Nebentisch nieder. Elegant. Langsam. Kontrolliert.
Der Stoff meines Bleistiftrocks zieht sich über meine Oberschenkel, und als ich meine Beine übereinanderschlage, tanzt das Rascheln der Seide durch den Raum wie ein unsichtbares Echo.
Sein Blick huscht – er glaubt, unauffällig.
Doch ich sehe ihn. Ich sehe alles.
Ich trage keine billigen Illusionen.
Meine Nahtnylons sind echt.
Handgenäht. Hautfarben. Mit dunkler, perfekt geführter Naht vom Absatz bis zum Oberschenkel.
Und ich weiß, was sie mit ihm machen.
Er denkt, er sei nur ein stiller Beobachter.
Ein Genießer.
Doch er liegt falsch.
Ich bin die Dirigentin.
Und er ist längst mein Instrument.
Ich beuge mich leicht zu ihm. Mein Parfum – schwer, dunkel, feminin – streicht über seinen Willen wie ein Nebel aus längst vergangenen Träumen.
„Donnerstage sind gefährlich, Herr Kramer“, sage ich leise.
„Man könnte… schwach werden.“
Sein Blick trifft meinen.
Er ist gefangen.
Nicht in mir – in sich selbst.
Denn ich bin nicht neu.
Ich bin das, was er schon immer wollte – und nie haben durfte.
Noch nicht.
veröffentlicht am 16.10.2025 |
hypnochris schrieb: | vor einer Stunde |